Sonntag, 17. Januar 2010

Richter sehen Rassismus und Mißbrauch

Britische Durchsuchungspraxis verstößt gegen Europäische Menschenrechtskonvention

Von Christian Bunke, Manchester

Unter dem Banner des »Krieges gegen den Terror« kann die britische Polizei seit dem Jahr 2000 durch den Innenminister beliebige Landesteile zu Zonen erklären lassen, in denen verdachtsunabhängig Personen und Fahrzeuge gestoppt und durchsucht werden dürfen. Diese unter dem Namen »Stop and Search« bekannte Praxis ist Bestandteil der britischen Antiterrorgesetze. Der gesamte Londoner Großraum ist seit 2001 eine solche »Stop and Search«-Zone. Nun aber haben europäische Richter dem Überwachungswillen der britischen Behörden Grenzen gesetzt. Am 12. Januar stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, daß die britische Regelung Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletze. »Stop and Search« werde viel zu weiträumig angewendet, ein Mißbrauch könne nicht ausgeschlossen werden, so die Richter.

Geklagt hatte die Videofilmerin und Journalistin Pennie Quinton. Auf dem Weg zu Protesten gegen eine jährlich in London stattfindende Waffenhändlermesse war sie von der Polizei gestoppt und durchsucht worden. Sie wurde von den Polizisten so eingeschüchtert, daß sie darauf verzichtete, die Proteste mit ihrer Kamera zu dokumentieren. Unterstützt wurde Pennie Quinton in ihrem Protest von der Journalistengewerkschaft NUJ und der Menschenrechtsorganisation Liberty.

Statistiken zufolge, die der Guardian am Tag des Urteils veröffentlichte, wurden allein 2008 etwa 117000 Personen Opfer von »Stop and Search«. 2004 waren dies nur 33177 Menschen gewesen. Seitdem haben sich die Durchsuchungen also fast vervierfacht. Liberty zufolge habe »Stop and Search« jedoch nur in 0,6 Prozent aller Fälle zu einer Anklageerhebung geführt. Besorgt ist die Organisation vor allem über den Rassismus bei den Durchsuchungen. Schwarze und asiatisch aussehende Personen hätten ein fünf- bis siebenfach höheres Risiko, gestoppt und durchsucht zu werden als Weiße, kritisiert Liberty. Dies hob auch der Menschenrechtsgerichtshof in Strasbourg in seiner Urteilsverkündung besonders hervor: »Während die hier behandelten Fälle keine Menschen asiatischer Herkunft betreffen, so ist doch die diskriminierende Anwendung dieser weitreichenden Maßnahmen bemerkenswert (…). Die zur Verfügung stehenden Statistiken zeigen, daß schwarze und asiatische Menschen überproportional betroffen sind, auch wenn der unabhängige Gutachter in seinem jüngsten Report feststellte, daß gezielt weiße Menschen gestoppt und durchsucht wurden, um eine bessere Rassenbalance der Statistiken zu erzielen.« Weiterhin erklärten die Richter, »Stop and Search« könne mißbräuchlich gegen Demonstranten angewandt werden.

Die Richter fordern eine Einschränkung von »Stop and Search« sowie eine bessere Absicherung gegen Mißbrauch. Der britische Staat muß 33850 Euro Schadenersatz an Pennie Quinton zahlen.

Insbesondere bei Londoner Fotojournalisten rief die Gerichtsentscheidung Genugtuung hervor. Seit Jahren führen diese eine Kampagne unter dem Titel »Wir sind Fotografen, keine Terroristen« gegen die regelmäßigen Einschüchterungsversuche der Polizei durch.

Der Staatsapparat ist weniger begeistert. So rechtfertigte der ehemalige Londoner Polizeichef Ian Blair im Guardian die Durchsuchungen als wichtige polizeiliche Methode. Während seiner Amtszeit hatten Londoner Polizisten den Elektriker Juan Charles de Menezes erschossen, weil sie diesen für einen flüchtenden Terroristen hielten. Scotland Yard und das britische Innenministerium wollen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte prüfen, bevor sie irgendwelche Änderungen der britischen Gesetzeslage vornehmen.

aus: Junge Welt, 18.01.2010 / Ausland / Seite 6

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